"Eine Spur wilder" - so lautet der Slogan des Nationalparks Nordschwarzwald.
Mehr über den "Urwald von morgen" zu erfahren, das war eine Verlockung im Jahresprogramm der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald - Kreisverband Rems-Murr. Die Bus- und Wanderexkursion interessierte Naturfreunde vom Rems-Murr-Kreis bis zur Ostalb.
Ein Nationalpark ist vom Gesetzgeber mit dem höchsten Naturschutz-Status geschützt. Großräumig sollen ökologischer Prozesse vom Menschen ungestört möglich sein (Prozessschutz); im Laufe der Zeit sollen Urwälder von morgen sollen entstehen. Gleichzeitig dienen sie aber auch der wissenschaftlichen Erforschung von Entwicklungsprozessen und der Naturerfahrung und Umweltbildung.
"Am 1. Januar 2014 wurde Deutschlands jüngster Nationalpark seiner Bestimmung übergeben, künftig "wilde Natur" sein zu dürfen", erklärt Dr. Thomas Waldenspuhl, einer der beiden Direktoren des Nationalparks, in seinem Einführungsvortrag. Der Ausweisung vorangegangen war eine landesweit intensive politische Diskussion, denn nicht jeder sah den Nutzen dieses knapp über 10.000 Hektar messenden Großschutzgebiets gleich ein. Waldbesitzer fürchteten die Massenvermehrung von Borkenkäfern, die Holz-verarbeitende Industrie sorgte sich um ihren Rohstoff Holz, der im Nationalpark nicht mehr genutzt werden kann. Schließlich bekam der Nationalpark eine breite politische Mehrheit, "wobei in einem intensiven Beteiligungsprozess mit Bedenkenträger viele Punkte entschärft werden konnten." so der Naturpark-Direktor. Mit einer "schnellen Eingreiftruppe" werde besonders darauf geachtet, dass sich in den Randgebieten des Nationalparks keine Borkenkäfer vermehren können, die auf andere Wälder übergreifen. "Die Randstreifen werden stärker überwacht als Fort Knox, das berühmte Depot der Goldreserven in den USA," ergänzt Heidrun Zeus, Nationalpark-Rangerin.
Die anschließende dreistündige Wanderung führte - im Südteil des zweigeteilten Parks - vom Nationalpark-Zentrum Ruhestein über die Darmstädter Hütte über die Grinden zum Seekopf. Unterwegs war nicht nur Zeit für herrliche Aussichten auf die Schwarzwald-Berge im Westen und den Wilden See im Osten, sondern vor allem für Erklärungen und Fragen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass Bäume im Wirtschaftswald geerntet werden. Damit wird aber die für eine Vielzahl von Insekten, Vögeln und Pilzen so wichtige "Totholz-Phase" quasi übersprungen. Hier im Nationalpark hingegen gibt es keine Altersbegrenzung und keine vorgegebene Entwicklungsrichtung der Wälder mehr "Der Natur das Ruder zu überlassen, erfordert Mut. Es braucht Courage, die Kontrolle abzugeben und nicht mehr selbst zu entscheiden, wohin die Reise gehen soll," erklärt Dr. Waldenspuhl die zentrale Aufgabe dieses Schutzgebiets.
Die Waldgebiete der so genannten Kernzone werden komplett sich selbst überlassen und sind am stärksten geschützt. Wälder in der angrenzenden Entwicklungszone werden darauf vorbereitet, später in die Kernzone überzugehen. Unterstützende Maßnamen legt hier der Nationalparkplan fest. Bis maximal ein Viertel der Fläche des Nationalparks bleibt dauerhaft Managementzone. Hier greift das Nationalparkteam pflegend und lenkend ein – unter anderem, um die Ausbreitung des Borkenkäfers auf umliegende Wälder zu verhindern. Auch spezielle Biotop- und Artenschutzziele werden hier verfolgt.
Die Grindenflächen, waldfreie Bergheiden in den Gipfellagen des Schwarzwaldes sind eine Besonderheit dieses Nationalparks; sie, liegen in der Managementzone. Wild und von rauer Schönheit erinnern
die mit Latschenkiefern, Beerensträuchern, Heidekraut und Pfeifengras bewachsenen Flächen an Landschaften in Skandinavien. Heidrun Zeus: "Gerade die besondere Mischung aus lichteren
Strukturen machen sie zu einem wertvollen Lebensraum für viele seltene Mittelgebirgsarten, zum Beispiel für Auerhuhn, Baumpieper und Kreuzotter, aber auch für zahlreiche Schmetterlinge,
Heuschrecken wie die Alpine Gebirgsschrecke und andere Insekten."
Die Entstehung dieser Landschaft geht auf menschliche Bewirtschaftung zurück. Bereits im 14. Jahrhundert wurden die Hochlagen gerodet und anschließend von den Bauern aus den umliegenden Tälern
mit ihren
Haustieren, vor allem Hinterwälder Rindern und Ziegen, beweidet. Durch das Zusammenspiel von Beweidung, Weidbrennen, hohen Niederschlägen und dem Buntsandstein als geologischem Untergrund ist
dabei diese faszinierende und ökologisch wertvolle Landschaft entstanden.
Seit 1995 weiden wieder die Schwarzwälder Rinderrasse "Hinterwäldler" und Schafe auf den Heiden. Während früher 2.000 Hektar der Schwarzwaldgipfel waldfrei waren, werden derzeit nur noch knapp
200 Hektar durch Beweidung und Pflege offen gehalten. So können sich Rasenbinse, Besenheide, Wollgras und Rauschbeere ausbreiten – und mit ihnen seltene Insektenarten, die an diese Zwergsträucher
gebunden und gleichzeitig Nahrungsquelle für viele Vögel sind.
Der Höhepunkt der Aussichten bietet sich der SDW-Wandergruppe beim Grab von Prof. Julius Euting, einem frühen Förderer des sanften Schwarzwald-Tourismus. Dieser Ort gewährt dem Naturgenießer einen einzigartigen Ausblick auf den ersten Bannwald Baden-Württembergs, den Wald um den "Wilden See", bereits 1911 zum Naturwald-Reservat erklärt und nun seit über 100 Jahren nicht mehr vom Menschen genutzt. Dahinter erstreckt sich zwischen den Schwarzwald-Erhebungen Leinkopf und Riesenköpfle das dicht bewaldete Tal der Schönmünz.
Über den Seekopf führt der Weg zurück zum Nationalparkzentrum Ruhestein. Der Skihang vom Seekopf hinunter zum Ruhestein ist übrigens aus dem Schutzgebiet ausgenommen - auch ein Maßnahme, um Interessenkonflikte zu minimieren und die Akzeptanz dieses Schutzgebiets zu ermöglichen. Vom Seekopf aus hat man einen guten Überblick auf den Neubau des Nationalpark-Besucherzentrums mit seinem spektakulären "Skywalk", der die Besucher mit den Baumwipfeln "auf Augenhöhe" in Kontakt treten lassen wird:
Grund genug, zur geplanten Fertigstellung 2020 wieder eine Exkursion in den Nationalpark ins Jahresprogramm der SDW Rems-Murr zu nehmen.